Es gibt viele Filme über den Grenzwall, die Mauer, die der israelische Staat zwischen Israel und dem besetzten Westjordanland errichtet hat. Vor wenigen Tagen wurde auf dem Dokumentationskanal PHOENIX ein weiterer, neuer Beitrag dazu erstausgestrahlt, der seit zwei Tagen auch in der Mediathek abrufbar ist.
„Ein guter Film“ –
Suraya Hoffmann, gebürtige Palästinenserin schreibt „es lohnt sich, sich ihn anzuschauen“.
Der TV-Beitrag ist aktuell produziert (von einem unabhängigen walisischen Studio) und das ist es auch, was ihn auszeichnet: er ist aktuell. Der Konflikt zwischen den beiden Parteien wird nicht zum X-ten-Mal mit allen Nebenaspekten ausgewalzt, sondern ‚nur‘ skizziert. Stattdessen informieren aktuelle Bilder und aktuelle Interviews. Anschauliche Darstellungen der Mauer und ihres Verlaufs beleuchten in einer gradlinigen Regiearbeit das Schicksal der Menschen im Schatten der Mauer: Kritische Stimmen von beiden Seiten analysieren und kommentieren und vor allem kommen Menschen beider Seiten zu Wort, die darum ringen, die Dinge zu ändern.
„Das wichtigste ist, zu verstehen, dass auf der anderen Seite der Mauer keine Monster leben; es sind Menschen wie Du und ich“, sagt Raz Esther Kones, Jugendleiterin von „Roots“ und fährt fort: „Sie haben denselben Glauben und dieselben Hoffnungen. Wir haben einen anderen Namen für Gott aber unsere Religion ist in vielen Aspekten gleich. Die Werte an die wir glauben, sind ähnlich und manchmal scheint es, als sei das Schockierendste überhaupt, dass da ein Mensch hinterm Zaun ist, der ein ganz normales Leben, wie ich auch, führen möchte.
Wer in den letzten Jahren im Austausch zwischen deutschen, palästinensischen und israelischen Jugendlichen, Menschen engagiert war, weiß wie wahr das ist: Die Menschen beiderseits der Mauer wissen nichts mehr voneinander und verlernen, was sie mal wussten. Raz Esther Kones fährt fort: „In den Schulen hier unterrichtet keine Seite Hebräisch oder Arabisch. […] Mit Sicherheit wird er eine palästinensische Person treffen und kann nicht mit ihr sprechen. Natürlich wird er Angst vor ihr haben und denken, sie sei ein Terrorist, weil er nicht einmal mit ihr reden kann.“
Gelegentlich dient die Mauer den Autoren nur als Aufhänger, um über Menschen zu berichten, die sich dem Diktat ebendieser und der Trennung widersetzen. Und so kommentiert Rami Elchanan: „Wir sind in einem Zustand, in dem wir einander ignorieren. […] Der Hauptzweck (der Mauer) ist, Angst in die Herzen der Menschen zu pflanzen, die andere Seite zum Risiko zu erklären. Wenn Du Angst vor etwas hast, kommst Du nicht näher. Und wenn Du nicht näherkommst, wirst Du nichts erfahren. Und wenn Du nichts weißt, wirst Du kein Interesse daran haben, die Situation zu ändern. Sie ist auf Angst, Terror und Ignoranz gebaut …“
Die politische Landkarte des besetzten Westjordanlands nach dem Abkommen von Oslo wird skizziert und mit eindrücklichen Beispielen aus dem Alltag veranschaulicht. Mit einem ehrlichen Blick auf die Wahrheiten werden die Schicksale der Bauern und Bäuerinnen, der alten und jungen Menschen gezeigt – und am Beispiel einer Initiative aus dem Flüchtlingslager Aida am nördlichen Rand Bethlehems zeigt der Film, wie notwendig es ist, gerade den traumatisierten Kindern zu helfen: Sie möchten etwas Schönes erleben und dazu proben sie ein Theaterstück, um der Welt zeigen können, dass es sie gibt.
Es gibt viele Protagonisten und Akteure – selbst Banksy hat seine Spuren hinterlassen. Deutliche Worte werden gesprochen, Enttäuschung und Wut finden ihren Ausdruck. Oder die Autorin Prof. Nurid Peled-Elhanan, eine israelische Menschenrechtlerin, die in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zeigt, was einen „Soldaten dazu bringt, dass er den Abzug gegen ein 10-jähriges Mädchen drücken kann.“ (Rami Elchanan). Und eben Rami Elchanan und Bassam Aramin, ein israelischer und ein palästinensischer Vater, denen ein Kind von Soldaten oder Attentätern der anderen Seite getötet wurde. Nach und wegen dieser schmerzhaften Erfahrung und ihrem Leben geprägt vom Krieg gegen die jeweils andere Seite engagieren sich die beiden seit einigen Jahren in einer weltweit einzigartigen Organisation: dem Parents Circle Families Forum, einer Gruppe von etwa 600 palästinensischen und israelischen Eltern und Familien, die Menschen verloren haben.
„Die Geschichte des Anderen kennen lernen“ ist einer ihrer Ansprüche.
Erst Mitte Juni waren die beiden auch in Köln zu Gast und haben, vom Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Bethlehem in die Karl-Rahner-Akademie eingeladen, die Zuhörer:innen nachhaltig beeindruckt: „Wir sind die einzige Organisation, die nicht nach neuen Mitgliedern sucht, denn der Eintrittspreis ist zu hoch.“
Sie wollen Zuversicht stiften, „die Macht des Schmerzes nutzen.“
Rami Elchanan spricht für beide: „Es wird immer einen Riss in der Mauer geben, durch den man drunter, drüber oder hindurch kann. Es braucht Risse in der Mauer aus Hass und Angst, die unsere zwei Nationen trennen. Wir wollen nicht pro-israelisch oder pro-palästinensisch sein, das würde uns nicht helfen. Wir fordern […] für den Frieden zu sein.“ […]
„Ich betrachte den Mörder meiner Tochter als Opfer. Er war kein geborener Killer, etwas hat ihn dazu gemacht!“
Der Link zum Film von Caryl Ebenezer, Raghad Mukarker und Daniel Cohen:
https://www.phoenix.de/sendungen/dokumentationen/the-wall—mauern-der-wel-a-2658674.html
29. VII 2022 Heinz-Rudolf Hönings